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Die orthodoxe Kirche in Deutschland: Geschichte, Gegenwart, Zukunft

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2017-02-03 2017-05-01 03.02.2017

Die Vorgeschichte

Deutschland hat nicht nur viele Heilige hervorgebracht, die bis zur Einführung des filioque durch den Frankenkönig Karl (regierte 768-814) bei uns als Heilige anerkannt werden können, sondern auch einige berühmte Heilige gesehen, die der orthodoxen Kirche besonders wichtig sind. Der hl. Kaiser Konstantin der Große hat etliche Jahre in der westdeutschen Stadt Trier residiert, wovon die bis heute erhaltene Konstantinsbasilika, sein Thronsaal, zeugt. Seine Mutter, die hl. Helena, lebte ebenfalls dort und hat natürlich über die gut ausgebauten Heerstraßen Köln besucht, vielleicht auch meine Heimatstadt Bonn, die seit der Zeitenwende ein römisches Heerlager beherbergte und bis heute eine der hl. Helena geweihte romanische Hauskapelle zu bieten hat. Trier hat den hl. Athanasios von Alexandreia aufgenommen, als er im arianischen Streit dorthin verbannt wurde. In Trier wurde auch der hl. Ambrosios geboren. Doch die römische Stadtkultur in Deutschland überlebte das 4. Jahrhundert nicht. Die Städte versanken für Jahrhunderte in völliger Bedeutungslosigkeit. Kirchlich gehörte Deutschland eindeutig zu Rom, so dass es ganz der lateinischen Tradition verpflichtet blieb. Doch die mittelalterliche Welt war kulturübergreifender als wir es uns heute vorstellen können. So heiratete im 10. Jh. Theophano, die Nichte des Kaisers Johannes I. Tsimiskis, Otto II. Nach dessen Tod wirkte sie als kraftvolle Regentin für den noch unmündigen Otto III. Ihr Grab befindet sich bis heute in Köln und wird gerne von orthodoxen Gläubigen aufgesucht. Im 11. Jh. starb der aus dem byzantinischen Teil Siziliens stammende und in Konstantinopel ausgebildete Mönch Symeon vom Sinai Pentaglottos in Trier, das als Bischofssitz wieder Bedeutung bekommen hatte. Kurz nach seinem Tod wurde er heilig gesprochen, was 1996 vom Patriarchat Jerusalem für die orthodoxe Kirche ebenfalls vollzogen wurde. Doch dies blieben einzelne Episoden. Erst mit der Reformation, die mit Martin Luther ihren Anfang in Deutschland nahm, gab es von Rom unabhängige Christen, die leider trotz der nicht geringen, aber wohl schon zu späten Kontakte der Reformatoren zur orthodoxen Kirche der orthodoxen Geisteswelt fernblieben.

Die Zuwanderung orthodoxer Gläubiger nach Deutschland

Die Gründung einer ersten orthodoxen Gemeinde auf deutschem Boden ist für das Jahr 1718 bezeugt. Sie traf sich in den Privaträumen des russischen Gesandten und danach in einer in der Botschaft eingerichteten Kirche. Diese Gemeinde war ganz von den Diplomaten und davon, ob diese überhaupt orthodox waren, abhängig und bestand deshalb nicht kontinuierlich. Diese Berliner Gemeinde ist dennoch bemerkenswert, weil die zuständige Metropolie von Sankt-Petersburg schon 1836 die Erlaubnis gab, die Liturgie in deutscher Sprache zu zelebrieren. Bis heute verwenden wir in vielen Gemeinden die Übersetzungen, die Erzpriester Aleksij Mal´cev angefertigt hat, der von 1886 bis 1914 in Berlin sehr segensreich gewirkt hat. Die Russen blieben nicht auf die Hauptstadt Berlin beschränkt. Durch die freundschaftlichen Beziehungen zwischen Russland und Preussen kam es sehr früh zu einer Gemeindegründung in Potsdam. Zar Peter I. hatte dem Preussenkönig Friedrich Wilhelm I. besonders großgewachsene russische Grennadiere geschickt, mit denen 1718 auch ein Priester nach Potsdam kam. Die Gemeinde starb allerdings wieder aus. Zar Alexander I. schenkte König Friedrich Wilhelm II. einen russischen Soldatenchor, für den in der Nähe Potsdams die Kolonie "Aleksandrovka" aus russischen Holzhäusern erbaut wurde, die z. T. heute noch stehen. Unter Leitung des berühmten Baumeisters Karl Friedrich Schinkel wurde sogar eine dem hl. Aleksander Nevskij geweihte Kirche errichtet, die in Anwesenheit von Zar Nikolaus I. und der preussischen Königsfamilie 1829 eingeweiht wurde. Die Kirche untersteht heute dem Moskauer Patriarchat. Ähnlich waren die Anfänge in vielen deutschen Städten. Durch dynastische Verbindungen, nur wenige russische Händler, aber viele Kurgäste, die dem russischen Hochadel angehörten, wurden zahlreiche Haus- und Grabkapellen sowie Gemeindekirchen z. B. in Breslau, Bad Ems, Baden-Baden, Bad Homburg, Darmstadt, Dresden, Leipzig und Wiesbaden errichtet. Diese Blüte der russischen Gemeinden fand ihr vorübergehendes Ende mit dem Ersten Weltkrieg, der Deutschland und Russland zu Feindstaaten machte. Die russische Emigration nach der Oktoberrevolution führte zu einem sprunghaften Anstieg der russischen Christen in Berlin und anderen deutschen Städten, doch blieben die Wenigsten über die 20er Jahre hinaus in Deutschland, sondern zogen weiter nach Paris und in die Neue Welt. Die verbleibenden Russen hatten sich nun zu entscheiden, ob sie dem emigrierten Metropoliten Evlogij und damit dem Ökumenischen Patriarchat, der russischen Auslandskirche oder dem Moskauer Patriarchat angehören wollten. Die Auslandskirche sollte nach dem Willen Adolf Hitlers im Sinne der Gleichschaltung aller Orthodoxen die einzige anerkannte orthodoxe Jurisdiktion im Dritten Reich sein und bekam alle Rechte an den russischen Kirchengebäuden. Sie konnte sogar in Berlin 1938 eine neue Kathedrale errichten, die 1945 von den Alliierten dem Moskauer Patriarchat zur Verfügung gestellt wurde. Heute ist die Auslandskirche in Deutschland immer noch im Besitz der meisten alten russischen Kirchen, doch schrumpfen ihre Gemeinden zusehends. Noch geringere Zahlen hatten die Gemeinden des Moskauer Patriarchates aufzuweisen.
Die Anfänge der griechischsprachigen Orthodoxie in Deutschland geht auf die griechischen Händler im Osmanischen Reich zurück, die besonders rege Kontakte mit der Leipziger Messe unterhielten. Die erste Liturgie dort ist für 1743 belegt. Griechische Gelehrte, die inzwischen in Leipzig bessere Möglichkeiten zum Druck ihrer Bücher vorfanden als im bisher bevorzugten Venedig, sorgten für Zuwachs und auch geistige Impulse. Die Bildungsmöglichkeiten lockten viele Griechen auch nach München. Als nach der Gründung des griechischen Staates ein bayerischer König, Otto I., die Regierung in Griechenland übernahm, intensivierten sich die Kontakte. Durch Verfügung von König Ludwig I. von Bayern wurde 1830 die Salvatorkirche im Stadtzentrum Münchens den Griechen zur Verfügung gestellt, die sie bis heute mit einer großen Gemeinde nutzen. 1904 entstand auch in Berlin eine Kapelle. Seit 1922 gehörte Deutschland zur neugegründeten Metropolie von Thyateira mit Sitz in London. Während in den 50er Jahren die deutsche Wirtschaft einen ungeahnten Aufschwung nahm und dringend Arbeitskräfte benötigte, litten andere Länder, vor allem im Süden Europas, unter großer Arbeitslosigkeit. Insbesondere ab 1960 kamen mehrere Hunderttausend Griechen nach Deutschland. Folgerichtig entschied das Ökumenische Patriarchat 1963, die Metropolie von Deutschland mit Sitz in der damaligen Hauptstadt Bonn zu gründen. Ihr steht Metropolit Augoustinos vor, der 1938 in Kreta geboren wurde und in Chalki, Salzburg und Münster studiert hat. Seit 1964 war er Priester und hat zunächst in Berlin gewirkt, 1972 wurde er Vikarbischof und 1980 Metropolit von Deutschland und Exarch von Zentraleuropa. Bei der Gründung der Metropolie gehörten nur 12 Gemeinden zu ihr. Es war zu Anfang - und auch heute - nicht leicht, qualifizierte Priester zu finden. Alle heute tätigen Priester, sofern sie Theologen sind, und das sind die meisten, sind in Griechenland ausgebildet worden. Zwischen 1972 und 1980 wurden unter Metropolit Irenaios nicht wenige ohne theologische Ausbildung zu Priestern geweiht. Sie alle hatten es nicht leicht, sich auf die Sprache ihrer Umgebung, auf die oft sehr hohe Fluktuation in den Gemeinden, auf die Diasporasituation und vor allem die im Unterschied zum damaligen Griechenland säkularisierte Industriegesellschaft Deutschlands einzustellen. Vor allem belastete die Ungewissheit über die Zukunft der Griechen in Deutschland die Gemeindearbeit erheblich. Die 1960 zwischen Griechenland und Deutschland geschlossene Vereinbarung über die Anwerbung und Vermittlung von griechischen Arbeitnehmern nach der Bundesrepublik Deutschland sah nämlich die Rückkehr der Arbeiter nach Griechenland vor, sobald sie in Deutschland nicht mehr gebraucht würden. Damals gab es noch keine Europäische Gemeinschaft mit der Freizügigkeit, in anderen Mitgliedsstaaten zu arbeiten und eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen. Die Arbeiter wie auch die Seelsorger konnten also nicht anders als davon auszugehen, dass die griechische orthodoxe Kirche in Deutschland ein Provisorium sein würde. Die Priester sorgten sich folglich zunächst einmal kaum um eigene Kirchengebäude, sondern erfüllten die nötigsten geistlichen Bedürfnisse, die darin bestanden, flächendeckend in Deutschland Gottesdienste und Sakramente wie Taufe und Ehe anzubieten.
Ganz analoge Probleme, zu denen noch die kommunistische Staatsführung hinzu kam, hatten die jugoslavischen Gastarbeiter und unter diesen die rund 180 000 orthodoxen Serben, die nach Deutschland kamen. 1969 wurde eine eigene Diözese für Westeuropa mit Sitz in London gegründet, der 1979 nach Hildesheim-Himmelsthür in Deutschland verlegt wurde. Serben und Griechen sind also jene beiden orthodoxen Volksgruppen, die neben Spaniern, Italienern und Türken als angeworbene Arbeiter vorwiegend in den 60er Jahren nach Deutschland kamen.

Die Entwicklungen seit 1990 und die Gegenwart

Eine ganz neue und für alle Welt überraschende Entwicklung trat mit dem Zusammenbruch der Sovjetunion und der vom deutschen Gesetz während des Kalten Krieges ermöglichten und nun exponentiell ansteigenden Zuwanderung jüdischer und deutschstämmiger Menschen mit ihren russischen Angehörigen aus allen Nachfolgestaaten der Sovjetunion ein. Insbesondere die russischen Gemeinden sind davon betroffen. Die Zuwanderer finden sich zwischen Auslandskirche und Moskauer Patriarchatskirche kaum zurecht und gehen einfach in die nächstgelegene russischsprachige Gemeinde, ohne auf jurisdiktionelle Probleme zu achten. Viele russische Gemeinden standen bereits in der zweiten, dritten oder gar vierten Generation nach den durch Oktoberrevolution und Ende des Zweiten Weltkriegs ausgelösten Emigrationen. Sie verwendeten bereits nicht selten oder sogar überwiegend Deutsch als Liturgiesprache, und einige Gemeinden verwendeten sogar den Neuen Kalender. Die angestammten Gemeindemitglieder sahen sich nun einer Überfremdung durch die zahlenmäßig viel stärkeren Zuwanderer ausgesetzt. Vielerorts muss auf das Deutsche wieder verzichtet und zum Kirchenslavischen zurückgekehrt werden. Auch der Neue Kalender ließ sich nicht durchsetzen. Große Probleme macht die Seelsorge auch durch die Tatsache, dass ein erheblicher Teil der Zuwanderer arbeitslos ist, von der Sozialhilfe lebt oder gar illegal in Deutschland ist. Damit fehlt den Gemeinden die Finanzkraft, die nötig wäre, größere Gotteshäuser zu bauen oder weitere Gemeinden zu gründen. Gerade dies wäre aber dringend nötig, weil die deutsche Einwanderungspolitik dafür sorgt, dass die Immigranten auf zahllose deutsche Kleinstädte verteilt werden. So müssten eigentlich allerorten Priester eingesetzt werden, die jedoch nicht vorhanden sind.
Die 90er Jahre haben die Gründung weiterer Diözesen auf deutschem Boden gesehen. 1994 gründete das rumänische Patriarchat Bukarest die "Rumänisch-orthodoxe Metropolie für Deutschland und Zentraleuropa". Nicht wenige rumänische Gemeinden in Deutschland, die früher zur rumänischen Auslandskirche gehörten, haben sich dem Ökumenischen Patriarchat unterstellt, so dass die rumänischen Gläubigen auf zwei Bischöfe in Deutschland aufgeteilt bleiben. Das bulgarische Patriarchat von Sophia hat 1993 eine Metropolie von Mittel- und Westeuropa gegründet. Schließlich gibt es noch einige ukrainische Gemeinden, die dem Ökumenischen Patriarchat unterstehen, und einige wenige Gemeinden des Patriarchates Antiocheia, die dem Westeuropäischen Exarchat mit Sitz in Paris angehören.
Unter Auslassung der nichtkanonischen, aus der orthodoxen Kirche hervorgegangenen Gemeinschaften sind unter den Patriarchaten ihrer Ursprungsländer folgende Bistümer für Deutschland zuständig:

1. Ökumenisches Patriarchat
-Griechisch-Orthodoxe Metropolie von Deutschland und Exarchat von Zentraleuropa mit einigen rumänischen Gemeinden
-Erzbistum der orthodoxen russischen Gemeinden in Westeuropa
-Ukrainische Orthodoxe Eparchie von Westeuropa
2. Patriarchat von Antiocheia
Griechisch-Orthodoxe Kirche in Antiochien/Exarchat für Westeuropa
3. Patriarchat Moskau
Bistum für Berlin und Deutschland
4. Patriarchat Belgrad
Serbische Orthodoxe Diözese für Mitteleuropa
5. Patriarchat Bukarest
Rumänische Orthodoxe Metropolie von Deutschland und Zentraleuropa
6. Patriarchat Sophia
Bulgarische Diözese von West- und Mitteleuropa

Viele Menschen sind überfordert zu verstehen, in welche Diözesen wir uns aufteilen. Ein wichtiger Schritt für die Selbstdarstellung nach außen stellt deshalb die 1994 erfolgte Gründung der "Kommission der orthodoxen Kirche in Deutschland - Verband der Diözesen" dar. In der Präambel der Kommissionssatzung heißt es: "Aus der Überlegung heraus, dass die verschiedenen national strukturierten orthodoxen Bistümer in Deutschland Glieder der einen orthodoxen Kirche sind und somit entsprechende Strukturen finden sollen, wurde am 1. Mai 1994 ein Organ geschaffen, das die Gemeinschaft der orthodoxen Bistümer, die untereinander in eucharistischer Gemeinschaft stehen, zusammenführen und zu intensiverem gemeinsamen Handeln befähigen soll". Tatsächlich konnte die Kommission in etlichen Punkten ein einheitliches Bild der orthodoxen Kirche nach außen vermitteln und außerdem den deutschen staatlichen und religiösen Stellen auch deutlich machen, dass die russische Auslandskirche, die sog. autokephalen Ukrainer und etliche Vaganten nicht in Eucharistiegemeinschaft mit der orthodoxen Kirche stehen. Die Kommission organisert kursierend durch die Bistümer alljählich eine Liturgie für das Fernsehen am Sendeplatz Sonntag Vormittag, sie sorgt jährlich für einen gemeinsamen Fastenbrief der orthodoxen Bischöfe, gibt ein Verzeichnis der orthodoxen Gemeinden der genannten 8 Bistümer in Deutschland heraus, koordiniert die Gespräche über den Religionsunterricht gegenüber den Ministerien der 16 Bundesländer – die den amerikanischen Staaten vergleichbar sind –, sie hat einen gemeinsamen Orthodoxen Jugendbund gegründet, der Mitglied von Syndesmos geworden ist, und sie gibt ein gemeinsames Presseinformationsorgan heraus, das Nachrichten aus dem Leben der orthodoxen Kirche in Deutschland und aller Welt sowie wichtige Dokumente veröffentlicht. Natürlich gibt es auch eine Website der Kommission (www.orthodoxe-kirche.notrix.de). Bei all diesen Aktivitäten muss das nationale Prinzip durchbrochen, ja die deutsche Sprache als Verkehrssprache benutzt werden. Dies hat eine erhebliche Integrationswirkung. Einige der Bistümer wünschen sich eine engere Zusammenarbeit, andere sehen ihre nationale Eigenständigkeit gefährdet. Ob die KOKID wie geplant zu einer orthodoxen Bischofskonferenz kommen wird, ist deshalb abzuwarten und lässt sich dezeit nicht absehen.
Nach einer im gemeinsamen Presseinformationsorgan der orthodoxen Diözesen in Deutschland „Orthodoxie aktuell“ entworfenen Statistik finden in Deutschland an 282 Orten in Deutschland Gottesdienste statt, die von rund 160 Priestern gehalten werden müssen. Die dort gehaltenen Gottesdienste finden zur Hälfte in nichtorthodoxen Gottesdienststätten statt – zumeist katholische oder evangelische Kirchen, aber auch in Gemeindesälen – zur anderen Hälfte in dauerhaft von Orthodoxen genutzten Gebäuden, die zwar an die liturgischen Erfordernisse angepasst sind, aber nur zum kleineren Teil direkt als orthodoxe Kirchen gebaut wurden. Es gibt jedoch außer der Metropolie in Bonn schon einige neugebaute orthodoxe Gemeinezentren vorwiegend der Griechen, aber auch der Serben. Seit rund 10 Jahren verstehen immer mehr ehemalige Gastarbeiter, dass ihre Kinder und Enkelkinder in Deutschland bleiben werden, weshalb auch sie, die in diesen Jahren nach und nach das Rentenalter erreichen, zu einem nicht geringen Teil in Deutschland bleiben werden. Erst rund 30 Jahre nach der Gründung der Metropolie von Deutschland waren die Menschen soweit, den Gedanken des Provisoriums abzulegen und sich auf einen dauernden Verbleib in Deutschland einzurichten. Seit rund 10 Jahren gehört es für jeden Pfarrer zum guten Ton, an wenigstens einer seiner Gottesdienststätten eine Kirche zu bauen. Zurück zur Statistik: Für die regionale Verteilung hat große Bedeutung, wo sich die großen Industriezentren Deutschlands befinden, wohin also die Gastarbeiter in erster Linie angeworben wurden. Der Schwerpunkt liegt in Nordrhein-Westfalen, das 86 Gottesdienststätten aufweist, gefolgt von Baden-Württemberg mit 69 und von Bayern mit 48. Niedersachsen folgt mit gehörigem Abstand mit 22, Hessen mit 18 und Rheinland-Pfalz mit 10 Gottesdienststätten. In den neuen Bundesländer sind orthodoxe Gemeinden erwartungsgemäß kaum vertreten.
Die griechische orthodoxe Metropolie von Deutschland hat die größten Mitgliederzahlen aufzuweisen und ist am flächendeckendsten organisiert. Mehr als die Hälfte aller Gottesdienststätten zählen zu ihr (157). Die zahlenmäßig zweitstärkste Gruppe ist die serbische Diözese für Mitteleuropa mit 34 Gemeinden. Gleiche Gemeindezahl, aber geringere Gläubigenzahl weist die russische Diözese auf. Die rumänische Metropolie für Deutschland hat 24 Gemeinden. Ukrainer, Araber des Patriarchates Antiocheia und Bulgaren haben jeweils 5-15 Gottesdienststätten. Das russische Erzbistum für Westeuropa mit Sitz in Paris unterhält ebenfalls nur eine kleine deutschsprachige Gemeinde in Düsseldorf. Insgesamt schätzen wir die Gesamtzahl der Orthodoxen in Deutschland auf rund 1,2 mio., was bei einer Gesamtbevölkerung von 88 mio. etwa 1,3 % ausmacht.
Die Studienmöglichkeiten für orthodoxe Theologie in Deutschland sind inzwischen sehr gut. 1979 wurde an der Universität Münster eine Professur für Orthodoxe Theologie eingerichtet. Deren Inhaber, Professor Dr. Dr. Anastasios Kallis, wurde 1999 pensioniert. Leider wurde die Stelle bisher nicht wieder ausgeschrieben, weil derzeit massive Sparmassnahmen das Leben an den Universitäten schwer machen. Dies ist insofern mehr als nur bedauerlich, als Nordrhein-Westfalen einen besonders hohen orthodoxen Bevölkerungsanteil hat und eine heimatnahe Studienmöglichkeit bieten sollte. Mehr Freude macht die Entwicklung in München. Seit 1985 lehrt dort Professor Dr. Dr. Theodor Nikolaou Orthodoxe Theologie und gibt seit 1997 die wissenschaftliche Zeitschrift "Orthodoxes Forum" heraus. Dieser Lehrstuhl konnte zu einer "Ausbildungseinrichtung Orthodoxe Theologie" ausgebaut werden, die mit vier Professoren 1995 den Lehrbetrieb aufnahm. Geplant ist, diese "Ausbildungseinrichtung" zu einer kompletten orthodoxen Fakultät umzuwandeln, innerhalb der staatlichen Universität München. Die bereits jetzt angebotenen Studiengänge ermöglichen es, das Diplom der Theologie zu erwerben und zu promovieren. In Kürze sollen jedoch auch Lehramtstudiengänge für die Ausbildung zukünftiger Religionslehrer an den verschiedenen Schulformen möglich werden. Für die Integration in Deutschland und für das Lernen an den Stärken des westlichen Christentums wie Verkündigungsmethoden und Sozialarbeit ist eine Ausbildungsstätte im eigenen Land von größter Bedeutung.

Die Zukunft

Prognosen haben es an sich, dass sie mit 100%-iger Sicherheit nicht so eintreten, wie man es sich vorstellt. Wünsche jedoch und Beobachtungen an der Gegenwart, die Erwartungen für die Zukunft wecken können, erlaube ich mir.
Viele Punkte könnten genannt werden. Am Wichtigsten scheint mir zu sein, dass die verschiedenen Jurisdiktionen, die unkanonisch nach dem Nationalitätenprinzip aufgeteilt sind, so zusammenwachsen, dass sie sich unter dem Dach eines gemeinsamen Ortsbischofs zusammenfinden. Metropolit Augoustinos hat darauf hingewiesen, dass wir auch nicht glaubwürdig für die Einheit der Christen insgesamt eintreten können, "wenn wir unter uns selbst keine Einmütigkeit haben". Natürlich können Gemeinden je nach ihrer Zusammensetzung russischen, serbischen, griechischen oder sonstigen Gebräuchen folgen, aber wir brauchen eine Organisation nach dem Territorialprinzip, wie es der Lehre und Tradition unserer Kirche entspricht. Wenn daraus einmal in 50 Jahren eine deutsche orthodoxe Kirche werden sollte, dann mag es so sein. Doch nicht dies ist mein Anliegen, sondern dass Lehre und Praxis, Anspruch und Wirklichkeit leidlich übereinstimmen. Zumindest die Mentalität der deutschen Umwelt verlangt dies, wenn unser Zeugnis glaubhaft sein soll. Und dies muss es in einem Land, in dessen östlichen Teilen, der ehemaligen DDR, nur noch rund 30 % der Bevölkerung getauft sind, und dies vor allem in der älteren Generation. Meine Vision dabei ist, dass die Kirche in die deutsche Gesellschaft hineinwächst, dass sie ihre Identität behält, dass sie sich zugleich aber auch als selbstverständlichen Teil der deutschen Gesellschaft versteht und nicht mehr als Fremdkörper.

Von Archidiakon Privatdozent Dr. Dr. Wassilios Klein

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